Bei Gehirnmodellen den Stoffwechsel mitdenken
18.11.2025
MCMP-Studie: Kognitive Theorien sollten metabolische Grenzen berücksichtigen
18.11.2025
MCMP-Studie: Kognitive Theorien sollten metabolische Grenzen berücksichtigen
„Das menschliche Gehirn ist ein sehr hungriges Organ“, sagt David Colaço vom Munich Center for Mathematical Philosophy (MCMP) der LMU. „Obwohl es nur zwei Prozent des Körpergewichts ausmacht, verbraucht es rund ein Fünftel der Körperenergie.“ Gleichzeitig sei es „energieeffizienter als die meisten modernen Computer“.
Wie solche metabolischen Erkenntnisse helfen können, mathematische und theoretische Modelle kognitiver Fähigkeiten zu verbessern, hat Colaço in einer Studie mit Dr. Philipp Haueis von der Universität Bielefeld untersucht. „Dass der Stoffwechsel des Gehirns bei Prozessen wie Gedächtnis, Wahrnehmung oder Aufmerksamkeit eine entscheidende Rolle spielt, ist zwar bekannt, wurde bislang jedoch kaum in Modelle einbezogen“, sagt Colaço, der am Lehrstuhl für Wissenschaftstheorie des MCMP an der Schnittstelle von Philosophie und Neurowissenschaften forscht.
Die beiden Forscher trugen das bestehende Wissen über den Gehirnstoffwechsel erstmals systematisch zusammen und analysierten es. Dabei bezogen sie empirische Befunde zu Energieverbrauch, neuronaler Skalierung – also dem Verhältnis von Gehirngröße, Neuronenzahl und Energiebedarf – sowie zum Energieaufwand der Informationsverarbeitung im Gehirn ein.
Ihre Ergebnisse, die auf Literaturanalyse und philosophischer Argumentation beruhen, wurden jetzt in der Fachzeitschrift Behavioral and Brain Sciences veröffentlicht. Colaço und Haueis zeigen darin, wie sich Erkenntnisse über den Gehirnstoffwechsel künftig in zwei Hinsichten nutzen lassen. „Zum einen kann er bewerten helfen, ob bestehende Modelle von Kognition und Verhalten biologisch plausibel sind – und im Einklang mit den energetischen Grenzen des Gehirns“, erklärt Colaço.
„Denn der natürliche Energieverbrauch schränkt ein, welche Rechenprozesse im menschlichen Gehirn überhaupt möglich sind – und wie viel Information es verarbeiten kann.“ Zum Beispiel seien Gedächtnismodelle, die auf stabilen biochemischen Gleichgewichtszuständen beruhen, aus metabolischer Sicht unrealistisch – weil solche Systeme rasch in einen „thermischen Tod“ übergehen würden.
Zum anderen lassen sich aus dem Wissen über Stoffwechselprozesse laut der Studie neue, biologisch plausiblere Modelle ableiten. „Wenn wir etwa rechnerisch die Beziehung zwischen Gehirnstruktur und Informationsverarbeitung untersuchen, können diese metabolischen Überlegungen als Ausgangspunkt dienen“, so Colaço. Auf neuronaler Ebene zeigten sich beispielsweise energetische Zielkonflikte: So sparen dünne Axone Energie per übermitteltem Bit, übermitteln Information aber langsamer; dicke Axone seien schneller, übermitteln aber weniger Information pro Energieeinheit. Solche Abwägungen könnten künftig in rechnerischen Modellen geistiger Prozesse berücksichtigt werden.
Das Verhältnis von Metabolismus und Kognition werde bislang nur von wenigen Forschenden der Philosophie und der Neurowissenschaft behandelt. Mit ihrer Arbeit wollen Colaço und Haueis neue Impulse liefern – für die Erforschung des Energieumsatzes bei geistiger Anstrengung, für die Frage, wie Denken auf neurobiologischer Ebene zustande kommt, und für den Vergleich zwischen biologischer und Künstlicher Intelligenz.
Philipp Haueis & David J. Colaço: Metabolic considerations for cognitive modeling, 2025